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Notfallversorgung Wurst aus Angst - Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 15.10.2016

2016-10-20 22:26:00 / Feddeck-Dauerwaren - News
Notfallversorgung Wurst aus Angst - Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 15.10.2016 - Notfallversorgung Wurst aus Angst

Notfallversorgung Wurst aus Angst  

Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 15.10.2016 

Gouda und Schokolade, die sehr, sehr lange halten. (Foto: Jessy Asmus)
Das Ende ist nah. Nur wie nah, ist nicht ganz klar. Stürzt die Erde in 300 000 Jahren in die Sonne? Bricht schon in fünf Tagen Chaos aus? Stromausfall, Wasserknappheit, marodierende Banden. Es kann alles ganz schnell gehen. Thorsten Rebbereh sieht nicht gerne schwarz. "Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was hier in Deutschland los ist", sagt er und legt den ersten Gang zum dritten Mal ein vor Ungeduld. Als die Ampel auf Grün springt, fährt er auch recht zügig los. Rebbereh ist Teilhaber einer Firma namens "Feddeck", die sehr lange haltbare Lebensmittel vertreibt: Dauerwaren. Der Bestseller sind "Einmannpackungen", sogenannte EPas, Tagesrationen für Einsätze ohne Nachschub, wie sie die Bundeswehr benutzt. Die Fahrt führt von Hildesheim, dem Sitz der Firma, zum Versand nach Braunschweig. Rebbereh ist 54 und trägt Faltenkränze unter den Augen, die man sich mit Lachen verdienen muss. Er zahlt seine Altersvorsorge, plant für die Zukunft, er freut sich, dass Hildesheim, seine Heimat, den Großstadtstatus gerade noch halten kann, dank der Flüchtlinge, die 2015 gekommen sind. Vor etwa sechs Wochen flog Rebbereh jedoch "der Laden um die Ohren". An jenem Sonntag im August ging eine Vorabmeldung des Innenministeriums an die Presse, dass zum ersten Mal seit 1995 ein "Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen" vorgelegt werden sollte. Am darauf folgenden Mittwoch, dem 24. August, präsentierte Innenminister Thomas de Maizière das neue Zivilschutzkonzept, auf dessen Titel in großen Lettern die Worte "Katastrophen" und "Alarm" ineinandergreifen. Es beschreibt auf 70 Seiten Strategien gegen Cyberattacken, Terroranschläge oder Angriffe auf die Energie- und Wasserversorgung. De Maizière stand im Berliner Wasserwerk, was im Kontext programmatisch zu verstehen war, und blickte durch sein Brillengestell, das immer ein wenig nach Google Glass aussieht. Er empfahl den Bürgerinnen und Bürgern, für eventuelle Notlagen Vorräte im Haushalt zu haben. Das Timing war ein wenig ungünstig, kurz nach den Anschlägen in Nizza, Ansbach, dem Amoklauf in München. 2015 hatte de Maizière ähnlich indigniert durch die Brille geblickt, als er Nachfragen zu den Absagegründen für ein Fußball-Länderspiel wegen einer Terrorwarnung so parierte: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Seitdem schlafen viele Deutsche noch etwas unruhiger.

Nach de Maizières, nun ja, Ausführungen steigt der Umsatz plötzlich um das 55-Fache

Thorsten Rebbereh lenkt an der Ausfahrt Braunschweig von der Autobahn runter. Gemeinsam mit seinem Partner Alexander Stoffregen hat er 2014 die Firma übernommen. Da war die Feddeck nicht mehr als eine Website. Der dritte im Bunde ist Harald Mirre, 61 Jahre alt, der die Ruhe eines langhaarigen Buddhas vermittelt. Mirre hat die Logistik im Griff und die Software programmiert. Bei Harald Mirre zu Hause stehen drei Bildschirme. An jenem Sonntag im August, als die Vorabmeldung rauskam, blickte Mirre kurz vor dem Mittagessen auf einen dieser Bildschirme, um den Bestelleingang zu überprüfen. "Stell mal bitte das Essen warm!", rief er seiner Frau in der Küche zu. Die Bestellungen schossen nach oben, es war verrückt. "Ich fürchtete zuerst, ich hätte was falsch eingestellt, den Kaufwert aus Versehen auf null Euro heruntergesetzt oder so was." Nach einer kurzen Internet-Recherche stieß Mirre auf die Ankündigung des Innenministeriums. Der Umsatz der Feddeck-Dauerwaren hatte sich um das 55-Fache gesteigert. Bestellungen im Wert von 250 000 Euro in drei Tagen. "De Maizière hat da gute PR für uns gemacht", sagt Rebbereh, dann lacht er etwas ungläubig. Nun stehen Rebbereh und Mirre in einer kleinen Lagerhalle der "Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V.". Den Verein kennt man aus schwachen Momenten in der Vorweihnachtszeit, wenn man an der Tür eine mundbemalte Laubsägearbeit aus einer sozialen Einrichtung gekauft hat. Hier in Braunschweig konzentriert man sich auf Versandlogistik. In der Halle arbeiten Menschen, die durch schlimme Ereignisse aus der Bahn geworfen wurden, durch einen Todesfall, eine schwere Depression oder einen Burnout. Sie sind auf null gesetzt durch die Katastrophen des Lebens.


Von links nach rechts, die drei von der Firma Feddeck in Hildesheim: Mirre, Stoffregen und Rebbereh. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Harald Mirre war auf die Idee gekommen, die Einrichtung für den Dauerwaren-Versand zu nutzen. Eine gute Sache tun und sie mit einer Geschäftsidee verbinden. Die Arbeit für Feddeck ist gut geeignet, Menschen schrittweise zurück in den Alltag zu bringen. Bestellungen lesen, Waren sortieren, in Kisten packen, kontrollieren. Ordnung, Struktur, klare Abläufe. Harald Mirre führt zu den Sortiertischen: Bratkartoffeln in der Dose, Tüten mit getrockneten Spaghetti, die man mit heißem Wasser sofort zu einer vollwertigen Mahlzeit aufkocht. Kleine Schachteln mit der Aufschrift "NRG5" stehen im Regal, das geht dann in Richtung Astronautennahrung, "aber unsere Rinderrouladen sind wirklich lecker", sagt Mirre. Die EPas kauft die Feddeck nicht von der Bundeswehr auf, sondern produziert sie frisch. Die Rouladen kommen aus Bayern. Von der Decke hängt ein riesiger Spender, der aussieht wie eine dieser Quetschtüten, mit denen ein Konditor die Verzierung auf eine Torte drückt. Nur dass hier Schaumstoffflocken in die fertig bestückten Pakete gefüllt werden, um die Ware sicher zum Kunden zu bringen. Die Leute von der Lebenshilfe nehmen ihre Arbeit ernst, die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. Nur nach der Pressekonferenz von de Maizière gab es von einem auf den anderen Tag riesige Probleme. Der Minister hatte ungerührt erklärt, dass ein Stromausfall mehr bedeute, als Abendessen bei Kerzenschein, viel mehr. Internet, Verwaltung, Nahrungsversorgung, alles würde ausfallen. Ein Angriff einer russischen Hackergruppe würde schon ausreichen. Am nächsten Tag ging überraschenderweise wieder die Sonne auf, aber bei der Lebenshilfe in Braunschweig kamen sie mit den Bestellungen nicht mehr nach. Den Mitarbeitern darf man nicht grenzenlos mehr Arbeit aufbürden, "die sind wahnsinnig engagiert", erklärt Harald Mirre, "aber sie brauchen ihre Pausen und ihren Feierabend, sonst packen sie es nicht". Mirre, Rebbereh und Stoffregen mussten nach Schichtende selber anpacken. Thorsten Rebbereh, der eigentlich Architekt ist und große Bauprojekte plant, verpflichtete seine Frau und seine erwachsene Tochter mitzuhelfen. So leicht lässt er sich nicht überrennen, in seiner Jugend war er norddeutscher Juniorenmeister im Weltergewicht, "ich wollte mich als Kleiner nicht immer verhauen lassen. Das hat auch funktioniert." Immer mehr und immer größere Bestellungen gingen ein, also engagierte Rebbereh ein paar tschechische Handwerker von einer Baustelle, die er zu dieser Zeit leitete. "Als ich den Tschechen erklärt habe, warum wir hier Spätschichten schieben müssen, haben die mich ausgelacht und gefragt, ob die Deutschen übergeschnappt seien." Seitdem fragt sich Thorsten Rebbereh, was eigentlich los ist in seinem Land. In der Psychologie spricht man von einer Divergenz zwischen Innen- und Außenwahrnehmung, wenn sich also beispielsweise jemand für fett hält, der in Wirklichkeit magersüchtig ist. Oder, wie es Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner klugen Rede zur Einheitsfeier im Jammertal Dresden sagte: "In einem virtuellen Glücksatlas des amerikanischen Gallup-Instituts, das die gefühlten Erfahrungen unter 138 befragten Nationen erfasst, ordnen die Deutschen sich auf Rang 46 ein - zwischen dem Senegal und Kenia." Innenwahrnehmung und Außenwahrnehmung. Lammert: "Wir leben in Verhältnissen, um die uns fast die ganze Welt beneidet." Vor was fürchten sich die Deutschen? Davor, dass sie etwas von ihrem Wohlstand abgeben müssen, weil die Natur große Ungleichheiten nicht lange duldet? Treffen extreme Wetterlagen aufeinander, folgt ein Gewitter. In Haiti und in Florida haben sie gerade schwere Unwetter erlebt. Nur hat, seitdem sich die Urkontinente aufgespalten haben, noch nie ein Hurrikan den Teil der europäischen Kontinentalplatte erreicht, auf dem Deutschland liegt. In Florida, wo solche Ereignisse häufiger vorkommen, wurde die Bevölkerung erst vor einer Woche wieder einmal dazu aufgefordert, die Badewanne volllaufen zu lassen und für einige Tage Lebensmittel einzulagern, falls der Strom ausfällt.